Antworten von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


Wir haben uns im Vorfeld mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Thema „verAntworten“ im Zeitalter der Digitalisierung unterhalten und ihr ein paar Fragen gestellt. Die Antworten wollen wir Euch nicht vorenthalten:

 

Frage: Sie gehören zu den Unterzeichnerinnen der Charta der digitalen Grundrechte – wie kann unser Rechtssystem mit der Digitalisierung Schritt halten? Müssen wir neue „digitale“ Gesetze schaffen oder lediglich cleverer in der Anwendung von bestehenden Gesetzen sein?
Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung haben sich Neuregelungen im europäischen Datenschutzrecht als notwendig erwiesen, wie sie etwa in der europäischen Datenschutz-Grundverordnung niedergelegt und bis Ende Mai 2018 auf nationaler Ebene in Kraft zu setzen sind.
Im Bereich des Strafrechts muss mit größeren Strafbarkeitslücken nicht gerechnet werden. Die für die analoge Welt herausgebildeten Straftatbestände dürften im Großen und Ganzen ausreichen, um die allermeisten der im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehenden Straftaten erfassen und abdecken zu können.
Deutlich anders stellt sich die Situation im Hinblick auf die Strafverfolgung, auf die Durchsetzung und Durchsetzbarkeit des staatlichen Strafanspruchs dar. Die spezifischen Eigenschaften der im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehenden Straftaten bewirken, dass eine effektive Strafverfolgung dringend der freiwillig oder gesetzlich geregelten Unterstützung der Plattformbetreiber bedarf.

Frage: Fake News und Social Bots florieren im Netz und führen zu einer zunehmenden Beliebigkeit von Nachrichten. Wie können wir gezielte Desinformationskampagnen und verleumderische Hetze bekämpfen, ohne dabei die Meinungsfreiheit einzuschränken? Kann die Kontrolle durch staatliche Stellen und Recherchebüros nicht schnell in Zensur umschlagen?
Der Verbreitung nicht strafrechtlich relevanter Falschmeldungen kann nur durch seriöse alternative Informationsangebote, durch Verstärkung der Medienkompetenz sowie durch Aufklärungsarbeit entgegen gewirkt werden. Da social bots, sofern sie der Vortäuschung menschlicher Nutzer dienen, ein zumindest irreführendes, wenn nicht gar betrügerisches Potenzial zukommt, muss über eine Pflicht zur Einführung von Vorkehrungen nachgedacht werden, die es den Plattformnutzern erlauben, social bots als solche zu erkennen.

Frage: Ein syrischer Flüchtling hatte auf einem Selfie mit Kanzlerin Merkel posiert und wurde auf Facebook unzählige Male fälschlicherweise als Terrorist verleumdet. Seine Klage gegen Facebook wurde vom Landesgericht Würzburg vorerst abgewiesen - das soziale Netzwerk muss die Fehlmeldungen nicht suchen und löschen. Wird Facebook seiner Verantwortung nicht gerecht?
Als Host-Provider sind die Soclal Media zwar von einer unmittelbaren Störerhaftung befreit, dafür aber (nach § 10 TMG) dazu verpflichtet, ihre Netze von Inhalten freizuhalten, die ihnen als rechtswidrig bekannt werden. Dieser Verantwortung, sind sie nur teilweise in ausreichendem Umfange nachgekommen.
Es ist damit zu rechnen, dass im Zuge der richterlichen Rechtsfortbildung über kurz oder lang Fälle, wie der am LG-Würzburg verhandelte, abschließend entschieden werden. Dann wird sich zeigen, ob Plattformbetreiber auch verpflichtet werden können, automatisierte up-load-Filter einzusetzen, mit deren Hilfe strafbewehrte Inhalte identifiziert und von vorne herein von einer Übernahme ins Netz ausgeschlossen werden können, wie dies im Bereich der Kinderpornografie bereits erfolgreich geschieht.
Der Druck auf die sozialen Netzwerke, ihre Netze möglichst frei von inkriminierenden Inhalten zu halten, wird nicht nur seitens der staatlichen Strafverfolgung zunehmen. Es deutet sich an, dass auch die in den sozialen Netzwerken Werbung treibende Wirtschaft zunehmend erkennt, dass Werbung, die in Verbindung mit strafrechtlich relevanten Netzeinträgen steht, zu massiven Imageproblemen führen kann.
Auch wird die Wirtschaft voraussichtlich nicht auf Dauer bereit sein, ihren Werbeetat für Auftritte in Netzen einzusetzen, die zu beachtlichen Anteilen von Accounts gebildet werden, hinter denen keine realen Menschen als Werbeadressaten, sondern social bots stehen.

Frage: Algorithmen bestimmen, was uns im Internet an Nachrichten und Produkten präsentiert wird. Gefährdet dies die Meinungspluralität?
Ich bin der Meinung, dass der Effekt der Meinungsnivellierung weit überschätzt wird.

Frage: Die Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der University of Oxford schätzen, dass die Automatisierung ca. 47 Prozent der Jobs in den USA gefährden wird. Auch bei uns warnen Siemens-Chef Joe Kaeser und Philosoph Richard David Precht vor einer gewaltigen Umstrukturierung des Arbeitsmarkts durch die Digitalisierung. Müssen wir hier auf die Bremse treten oder sind diese Warnungen Panikmache? Was sind mögliche Antworten der Politik auf diese Entwicklungen?
Die mit verschiedenen Modellen, Szenarien und Methoden arbeitende Zukunftsforschung kommt hinsichtlich der Frage nach der Wirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt zu unterschiedlichen, teilweise sogar gegenläufigen Ergebnissen. Einig ist man sich meist darin, dass die Digitalisierung mit massiven Umschichtungen am Arbeitsmarkt verbunden sein wird, die die Polittik, vor allem die Sozialpolitik, vor immense Herausforderungen stellt.
Man ist sich einig, dass es bei fast allen Arbeitsabläufen zu hohen Produktivitätszuwächsen kommt, was einerseits (bei konstanter Produktion) den Arbeitskräftebedarf vermindert, andererseits den Arbeitskräftebedarf deshalb erhöht, weil als Folge der sinkenden Stückkosten das Produktionsvolumen ansteigt. Welcher Effekt letztlich überwiegen wird, ist unsicher und bedarf der intensiven Erforschung, in die sich neben der Wissenschaft und den Tarifpartnern auch die Politik deutlich und frühzeitig einbringen muss.